Die Sehnsucht nach einem Wissenden oder Weisen, der weiß, wie es gelingt, das Leben so zu gestalten, dass es erfüllend und glücklich ist, ist menschlich. Vermutlich ist diese Sehnsucht so alt wie die Menschheit, und immer suchte man bei diesen Wissenden und Weisen nach Antworten auf Fragen, die zu schwer oder zu drängend schienen, um sie allein zu lösen.
Priester, Schamanen, Meister erfüllten in verschiedenen Kulturen diese Aufgabe, den Menschen auf der Suche nach Sinn und Glück etwas Halt zu geben. Sie kamen meist aus dem medizinischen oder religiösen Bereich und sie waren diejenigen, die einer tiefen menschlichen Angst vor Verlust und Tod etwas Hoffnungsvolles entgegensetzen konnten.
Mittlerweile können die Kirchen als Orte der Religion immer weniger diese Aufgabe erfüllen, den Menschen einen geschützten Raum zur Verfügung zu stellen, in dem sie den existentiellen Fragen des Menschseins begegnen können. In einem zunehmend materialistischen Zeitalter, das Sinnerfüllung eher in Konsum und Fremdbestätigung sieht, in dem Gott tot scheint und anstelle eines Glaubens an etwas Größeres der Abgrund eines sinnlosen Nichts nach unserem Ableben getreten ist, ist die Sehnsucht nach Sinn und Halt vielleicht noch größer als je zuvor. In einer Zeit, die Menschen allein wahlweise als zu isolierenden Virenträger wie in der Coronazeit sieht oder wie im Zusammenhang mit Organspenden als lebendes Ersatzteillager, das mit einem beliebig zu definierenden Todeszeitpunkt seine Innereien der Nachwelt solidarisch zur Verfügung zu stellen hat, in dem also der Mensch auf seine Körperlichkeit reduziert und ausgeblendet wird, dass er auch ein seelisches und geistiges Wesen ist, macht sich Trostlosigkeit breit.
Daher ist es verständlich, dass Menschen nach Gurus suchen, denen sie folgen können. Diese heißen heute allerdings eher Mental Coaches oder Life Coaches. Die Coaching-Szene ist ein gewinnbringender Markt – Menschen sind bereit, für etwas Hoffnung, etwas Halt viel Geld auszugeben. Auf diese Lifestyle-Coaches wird jene Sehnsucht projiziert, einen Wissenden und Weisen an der Seite zu haben, der Antworten auf jene drängenden Fragen des Lebens hat – allerdings sind diese Coaches, anders als die Priester und Schamanen früherer Zeiten, die einen sehr langen und sehr fordernden Ausbildungsweg durchlaufen mussten, oft mehr an ihrem Geldbeutel als am Lebensglück ihrer Klienten interessiert.
Wer es traditioneller mag, sucht sich einen buddhistischen Meister oder einen christlichen Eingeweihten. Auf der Suche nach Sinn und Führung gibt es für jeden Geschmack etwas.
Der Selbsterfahrungsmarkt boomt – der Mensch sucht verzweifelt nach etwas, was seinem Leben einen tieferen Sinn geben kann, er sucht verzweifelt nach Gemeinschaft in einer Zeit, in der immer mehr Menschen vereinsamen. Und es gibt genug Menschen, die genau diese Sehnsucht bereitwillig ausnutzen, entweder für ihren Kontostand und für ihr Ego, oder beides.
Manche Menschen halten sich selber für aufgeklärt und sind überzeugt, dass sie keinen Guru brauchen. Doch fast jeder erschafft sich auf die eine oder andere Weisen seinen Guru. Manchmal heißt er Coach, manchmal heißt er Meister, manchmal heißt er ‚die Wissenschaft’. Man kann auch so etwas völlig Unreligiöses und Unemotionales wie die Wissenschaft zu seiner Religion erheben, die allein die Wahrheit gepachtet hat. Und selbst in Gruppierungen, die Individualität und Denken an erste Stelle setzen, gibt es immer wieder die Tendenz, einen Eingeweihten zu verehren und ihm zu folgen.
Ernstzunehmende Meister und Gurus werfen den nach Rat und Hilfe suchenden Menschen immer wieder auf sich selbst zurück – sie stellen die Fragen, die es ihm ermöglichen, seinen Weg allein zu finden. Sie sind Begleiter auf Zeit – anders als viele Coaches der Gegenwart, die bei ihrer Kundschaft Abhängigkeit erzeugen.
Man mag sich darüber stellen und verurteilen, dass Menschen so sehr nach Führungsfiguren suchen – man mag es als infantil oder dumm bezeichnen – aber dann verkennt man die tiefe Angst, die hinter dieser Suche nach Führung und Halt steht. Ganz und gar eigene Entscheidungen zu treffen, unabhängig von anderen Menschen und der Zeit, in der man lebt, für diese Entscheidungen alle Konsequenzen zu tragen, ist eine sehr schwierige Angelegenheit.
Und doch ist dies genau die Aufgabe unserer Zeit – dass wir, jeder für sich, der eigene Meister werden, dass wir vertrauen in unser großartiges Potential, in unsere Intuition und in die in uns liegende Weisheit.